Während einer Pandemie kann die Wohnsituation und das Verstehen von Sprache große Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben. Geflüchtete, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, sind einem höheren Gesundheitsrisiko ausgesetzt als Menschen, die in einer Wohnung oder einem Haus wohnen. In den Gemeinschaftsunterkünften leben viele Menschen auf engem Raum und sie teilen sich oftmals die Sanitäranlagen und die Küche. Forschende der Universität zu Lübeck haben hierzu neue Erkenntnisse und geben Handlungsempfehlungen.
Bei der ELISA-Studie (LübeckEr Längsschnittuntersuchung zu Infektionen mit SARS-CoV-2) der Universität zu Lübeck wurde die Verbreitung des Coronavirus in der Lübecker Bevölkerung untersucht. 3000 Menschen haben bisher an der longitudinalen ELISA-Studie teilgenommen.
Ein besonderer Focus der Studie, unter Leitung von Prof. Christine Klein, Prof. Alexander Katalinic und Prof. Jan Rupp von der Universität zu Lübeck, richtet sich auf die Situation von Geflüchteten. Im November und Dezember 2020 sowie im Februar 2021 haben sie und ihre Mitarbeitenden 100 Menschen aus acht Unterkünften auf SARS-CoV-2-Antikörper untersucht.
Besondere Herausforderungen
Warum wurde diese Untersuchung gemacht? „Die Unterbringung und der Zugang zur Gesundheitsversorgung stellen Geflüchtete vor besondere Herausforderungen“, sagen die Forschenden. Ziel der Studie war es, das Infektionsrisiko während der COVID-19-Pandemie abzuschätzen. „Wie wir auch aus der ELISA-Studie gelernt haben, ist enger Kontakt zu Infizierten, wie er besonders in Innenräumen stattfinden kann, der entscheidende Risikofaktor für eine Ansteckung mit SARS-CoV-2“, sagt Prof. Christine Klein, Direktorin des Instituts für Neurogenetik. Das Wohnen in Gemeinschaftsunterkünften, wie es zum Beispiel bei Geflüchteten oder auch bei Mitarbeitenden in der Fleischindustrie zum Teil der Fall ist und wo Abstände nicht oder nur zum Teil eingehalten werden können, birgt daher ein erhöhtes Infektionsrisiko.
In ihrer Studie konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler feststellen, dass 37 Prozent der Untersuchten, die auf engem Raum mit anderen Menschen leben, Antikörper gegen das Virus entwickelt hatten und dementsprechend vorher infiziert waren. Bei der Gruppe von Menschen, die mehr Platz zur Verfügung haben, hatten 5 Prozent Antikörper gebildet.
Die Handlungsempfehlung der Forschenden ist daher klar: „Wir empfehlen nicht nur maßgeschneiderten Teststrategien, sowie Impfungen für diese Bevölkerungsgruppe mit hoher Priorität“, sagt Prof. Klein.
„Die Aufklärung zur Corona-Pandemie, deren Folgen sowie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Impfungen sollten in den jeweiligen Muttersprachen intensiv betrieben werden“, so eine weitere Forderung. Um an der Studie teilnehmen zu können, wurden den Geflüchteten Dolmetscherinnen und Dolmetscher zur Verfügung gestellt. Die Bereitschaft, sich gegen das Virus impfen zu lassen, lag in dieser Gruppe bei 30 Prozent. In der Gruppe der Menschen, die die deutsche Sprache fließend sprechen und verstehen ist die Impfbereitschaft deutlich höher und liegt bei 80 Prozent.
Mit Blick auf die gesamte Studie sagt Prof. Alexander Katalinic, Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie: „Die ELISA-Studie hat uns vieles gezeigt: Nach einem Jahr der Pandemie waren immer noch mehr als 95 Prozent der Bevölkerung ungeschützt. Die Dunkelziffer war zu Beginn der Pandemie zwar sehr hoch, aber die Maßnahmen in und nach der ersten Welle waren hocheffektiv. Solche Ergebnisse untermauern letztendlich die Bedeutung einer hohen Impfquote im Kampf gegen die Pandemie. Bis dieses Ziel erreicht ist, ist es weiterhin notwendig, die bekannten Hygieneregeln anzuwenden.“
Prof. Gabriele Gillessen-Kaesbach, Präsidentin der Universität zu Lübeck, sagt: „Seit 16 Monaten versuchen Forschende unserer Universität in der ELISA-Studie, mehr über die Verbreitung des Coronavirus in Lübeck und Umgebung zu erfahren. Die Studie bildet eine wissenschaftliche Grundlage für viele grundlegende Entscheidungen. Aufgrund der wissenschaftlichen Ergebnisse erhalten wir wichtige Informationen über die Übertragungswege und die Faktoren, die eine Infektion begünstigen. Die Ergebnisse der Studie zeigen aber auch, dass auch die Wohnsituation eine wesentliche Rolle in der Ausbreitung der Infektion spielt. Das zur Verfügung stellen von Informationen in unterschiedlichen Sprachen hat sicherlich einen Einfluss auf die Impfbereitschaft.“
Karin Prien, Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, sagt: „Die Ergebnisse und Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen wie ELISA sind gerade in den vergangenen Monaten eine wichtige Entscheidungshilfe für die Politik gewesen. Ich bin froh und dankbar, dass wir in Schleswig-Holstein eine gut aufgestellte Forschung haben. Aktuell befassen sich 178 Forschungsvorhaben an 13 Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Land mit ganz unterschiedlichen Aspekten der Pandemie. Es ist wichtig, die Bandbreite abzudecken und auch Einzelaspekte zu betrachten wie die Situation von Geflüchteten während der Pandemie. Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass die Sprachbarriere ein entscheidender Faktor bei der Bekämpfung der Pandemie ist und wie wichtig Aufklärung und Information sind.“